Anfänge einer Berufungsgeschichte

Aus dem persönlichen Bericht einer Virgo consecrata:

Meine Eltern waren katholisch getraut. Meine Mutter entstammte einer katholischen Familie, mein Vater war evangelisch. Mein Bruder und ich wurden evangelisch getauft. Wir erhielten 10 Jahre „bürgerliche Erziehung“. Religiöses Leben spielte in unserer Familie keine Rolle. Wir erfuhren die Indoktrination der Hitlerjugend. Ich war damals sehr stolz auf meine Uniform: ein dunkelblauer Rock, eine weiße Bluse, ein schwarzes Halstuch mit einem hellen Lederknoten zusammengehalten und die unverwüstliche „Kletterweste“ aus hellem Duvetin. Einmal hatte ich mich sehr schön angezogen – mit dieser Uniform – und ging spazieren. Allein. Ich ging durch einen von großen Bäumen verschatteten Weg und wusste auf einmal: Wir leben in einer riesigen Lüge, all das, was ich höre als Indoktrination, ist Lüge. Ich konnte mit niemandem darüber sprechen. Ich war 11 Jahre alt.

Als ich 8 Jahre alt war, begann in der Schule der Religionsunterricht. Ich erinnere mich an einen hochgewachsenen Mann, der mit donnernder Stimme zu uns sprach. Nur ein Satz ist mir aus dieser einzigen Religionsstunde in Erinnerung geblieben. „Gehe aus deines Vaters Hause.“ – Ich war so begeistert von all dem Gehörten, dass ich mich zu Hause in einen Sessel setzte und die gesamte Religionsstunde lauthals wiederholte. Meine Mutter, die aus Gründen, die ich erst Jahrzehnte später erfuhr, die Religion ablehnte, hörte das und forschte nach, woher ich das hätte. Einige Tage später riefen mich meine Eltern zu sich und sagten: Du brauchst nicht mehr zum Religionsunterricht zu gehen, du bist davon befreit … Ich war fassungslos, so etwas Herrliches sollte ich nicht mehr erfahren dürfen? Davon war ich befreit? Meine Eltern schenkten mir dann ein Buch mit germanischen Runen. Ich fand sie schauerlich, aber konnte es auch nicht sagen. Mich gegen die Entscheidung meiner Eltern durchzusetzen war undenkbar.

So gingen die religionslosen Schuljahre dahin. In all den Jahren nahm ich am Religionsunterricht nicht teil und galt als schwarzes Schaf, zumal ich auch sehr frech war.

Dann kam 1945 der totale Zusammenbruch. Unser gesamtes Weltbild war total zerstört, lag in Schutt und Asche. Mein Vater muss sich große Sorgen um mich gemacht haben und wohl auch Rat bei Freunden und Bekannten gesucht haben. Eines Tages kam er in mein Zimmer, gab mir ein Buch in die Hand und sagte: Lies das mal.

Es war das Neue Testament.

Ich las die vier Evangelien. Die Paulusbriefe waren mir zu schwer. Zwischendurch fragte mein Vater: Liest du in dem Buch? Ich sagte, ja. Und? „Es ist sehr schwer…“ – Ich kann mich nicht erinnern, was ich beim Lesen empfunden habe. Aber kurze Zeit später saß ich abends am Fenster und schaute zum Himmel. Auf einmal wusste ich: Es gibt eine Liebe, die ist größer als alle menschliche Liebe. Ich war entschlossen, diese Liebe zu finden.

Was ich dafür in den nächsten Jahren tat, daran kann ich mich im Einzelnen nicht mehr erinnern. Als dann die Berufswahl kam, wusste ich, dass ich einen Beruf brauchte, der mir mein Auskommen sicherte. Denn ich spürte, dass ich mich von meinen Eltern trennen musste, um mein Ziel zu erreichen. Damals kam mir wieder das Wort in Erinnerung „Gehe aus deines Vaters Hause.“ Ich machte eine Ausbildung als ...

Ich wusste jetzt, dass die große, überirdische Liebe Christus ist. Und ich musste klären, ob ich evangelisch oder katholisch bin. Ich setzte mir eine Frist von 3 Jahren, um dies zu klären. Ich las das Buch „Der Herr“ von Romano Guardini, ein klarer Wegweiser. Einige Monate ging ich sonntags vormittags in den evangelischen Gottesdienst und nachmittags in die katholische Messe. Wochenlang. Eines Tages stand ich in der Messe. Es wurde lateinisch gesprochen. Ich verstand kein Wort und wusste gar nicht, worum es ging.

Plötzlich wusste ich ganz deutlich: hier ist Christus.