mein Mädchen

Ein schrecklich heißer Tag war es. Klimawandel? Ein Tag, an dem auch die Gemüter kochen. Wie so oft hatte ich mich gefragt, was mich heute erwarten würde. „Schwangerenkonfliktberatung“ ist der offizielle Ausdruck.

Als virgo consecrata fühle ich mich dem Leben verpflichtet. Leben (!) - trotz der brutalen Hitze und der vertrocknenden Erde da draußen. Leben (!), ja, Leben, es ist heilig, unantastbar und doch so oft wie die Perlen vor den Säuen mit Füßen zertrampelt, missachtet, zerstört. Und doch ist es Leben, ist heilig und schützenswert. Meine Gedanken schweifen dann gerne kurz an den Worten aus der Predigt von Papst Johannes Paul II. zum internationalen Treffen 1995 in Rom vorbei (s.u.).

An diesem Tag saß ein nicht mehr ganz junges Elternpaar gegenüber. 3 Monate vor dem Termin war die Schwangerschaft schon sehr eindrücklich zu sehen. Leider war dieses Kind krank, schwer krank. Eine Falschaussage an der Stelle war nicht drin. Es hilft nicht, wenn ich Sie jetzt anlüge, sagte ich. Ein Blitzen in den Augen gegenüber: Jetzt haben die Ärzte so viele Untersuchungen gemacht, sagte diese Frau, die müssen jetzt sagen, wie krank genau dieses Kind ist! Spontan musste ich an die Aussage denken, dass Überbringer schlechter Nachrichten geköpft werden. Und warum diese ganze Last auf einen Schlag, ohne dieses Kind sehen, berühren, in die Arme nehmen zu können?! Wieder wurde mir bewusst, welche riesige Last all diesen Eltern akut aufgebürdet wird.

… Auf meine Gegenfrage, ob sie bei Geburt des 8jährigen Sohnes schon wussten, dass er aktuell Logopädie benötigen würde, wechselte der fast aggressive Ton gegenüber und machte erstmals Platz für Tränen. Aber wir wollen ein gesundes Kind! Die Großcousine ist schwer behindert, im Rollstuhl, mit Krampfanfällen. Tränen. Beide Syrer, beide mit einem Kreuz an der Halskette. Wir haben unseren beiden Kindern versprochen, dass wir Zeit für sie haben werden, dass nicht ein schwer behindertes Kind die Zeit dafür auffressen wird. Ich schaffe das nicht, sagte die Mutter.

Wieviel spüren Sie denn von dem Kind, fragte ich. Ein Zögern. „Mein Mädchen“ ist sehr lebhaft, es strampelt ganz viel, es schläft nur nachts, wenn ich auch schlafe.

… dann habe ich den Papierkrieg zur Seite geschoben. Darf ich als Mensch mit Ihnen sprechen und alles andere einen Moment beiseitelassen? Sie hängen doch an diesem Kind, es ist „Ihr Mädchen“, es ist lebendig und bewegt sich. Es ist da. Es wird nie nicht gewesen sein. Sie werden immer wieder daran denken, wie es diesem Mädchen wohl gehen würde. Sie haben beide ein Kreuzchen an – glauben Sie an Gott? Auf meiner Seite ging das x’te Stoßgebet zum Himmel in diesem Moment. In das fast betretene Schweigen hinein, sagte ich: Im Koran steht, dass behinderte Kinder Engel sind, dass die Eltern, die sie pflegen, in den Himmel kommen. Ja, in ihrer Heimat sei das auch so, sagte die Mutter. Ein Schwangerschaftsabbruch sei bei ihnen eine Sünde. Aber diese riesige Angst vor der Aufgabe. Aber wenn Gott, eine solche Aufgabe stellt, dann wird er auch die Kraft dafür geben, das ist dann sein Job, sagte ich. Der Mann blickte seine Frau fragend an.

Ich will „mein Mädchen“ behalten, sagte sie, ich kann es niemals abgeben. Tränen, aber dahinter plötzlich ein Lächeln. Ein ganz tiefes, inniges, schönes und reines Lächeln. Ein Lächeln, das jeden Rückweg in die vorhergehende Dunkelheit aus Ängsten und Unklarheiten einfach nur wegwischte wie der Wind eine Feder. Ein Lächeln, das die betreuende Ärzteschaft nach dem Gespräch verwirrte und aufmerksam werden ließ. Diese unendliche Macht der reinen Liebe! (ds)

Aus der Ansprache von Papst Johannes Paul II am 2.Juni 1995 anlässlich des erstes internationalen Treffens der Virgines consecratae in Rom:

Sie (Anm.: die virgo consecrata) ist auf der Suche nach dem, was droben ist, wo sie Christus findet, der zur Rechten Gottes sitzt (Kol 3,1). Dieser Umstand jedoch macht Euch nicht unbeteiligt gegenüber den großen Leiden der irdischen Stadt, ihren Ängsten und Kämpfen, ihren Konflikten und der Trauer, die hervorgerufen wird durch Kriege, Hunger, Seuchen und die verbreitete Kultur des Todes. Habt ein barmherziges Herz, das teilnimmt an dem Leid der Brüder! Setzt Euch ein für die Verteidigung des Lebens, für die Förderung der Frau, für die Respektierung ihrer Freiheit und ihrer Würde.